Letzte Aktualisierung:
Irland:
Tragikomödie vierter Akt (2013)
Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
16.12.2010
Tragikomödie in drei Akten (1983-2002)
Am 30.7.2013 hat der Präsident Irlands ein Gesetz
unterzeichnet, das Schwangerschaftsabbrüche bei Lebensgefahr für die
Schwangere erlaubt.
Zweieinhalb Jahre brauchten die politischen Instanzen in
Irland, um dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
vom Dezember 2010 endlich Nachachtung zu verschaffen. Gar 20 Jahre sind
verflossen, seit das Oberste Gericht Irlands entschied, Suizidgefahr sei
ein zulässiger Grund für einen legalen Schwangerschaftsabbruch.
Der tragische Tod von Savita Halappanavar im Oktober 2012, welcher an
einem Irischen Spital der Schwangerschaftsabbruch verweigert worden war,
obwohl sie in Lebensgefahr schwebte, hat Bewegung in die Angelegenheit
gebracht. Die Liberalisierungsbefürworter wurden mobilisiert und übten
Druck auf die Regierung aus, endlich ein Gesetz auszuarbeiten.
Im Juli 2013 stimmte das Parlament dem Gesetz mit grosser Mehrheit zu.
Die Debatten wurden von Protesten und Demonstrationen der
Abtreibungsgegner begleitet, die PolitikerInnen wurden mit Plastikföten
und Drohbriefen beglückt.
Doch der Berg hat eine Maus geboren.
Das neue Gesetz bringt nichts Neues, sondern konkretisiert einzig, wie
im Fall einer Lebensgefahr für die Schwangere vorzugehen ist : Zwei
Ärzte müssen die akute Gefahr bestätigen. Wenn die Frau suizidgefährdet
ist, braucht es die einhellige Meinung von drei Ärzten (zwei Psychiater
und ein Gynäkologe). Dann und nur dann ist der Abbruch legal. Wird
dieses Prozedere nicht eingehalten, drohen sowohl der Frau wie dem
Drittabtreiber bis zu 14 Jahren Gefängnis.
Irland gehört also neben Malta, Andorra und San Marino weiterhin zu den
vier Ländern in Europa, die nicht wenigstens gesundheitliche Gründe,
fötale Missbildung und Vergewaltigung als Abtreibungsgründe zulassen
(wie Polen, Liechtenstein und Monaco). Alle andern Länder Europas haben
eine Fristenregelung oder mindestens eine soziale Indikation.
Verschiedene Meinungsumfragen haben gezeigt, dass die Bevölkerung
eigentlich viel liberaler denkt: 70 bis 80% wünschen, dass der Abbruch
einer Schwangerschaft auch aus gesundheitlichen Gründen, bei
Vergewaltigung und fötaler Missbildung, um die 40 % und mehr möchten,
dass er in jedem Fall erlaubt sein sollte.
Die Irländerinnen werden also weiterhin ins Ausland reisen und die
Diskussionen werden weiter gehen. Die Abtreibungsgegner erwägen eine
Klage vor dem Obersten Gericht, weil durch das neue Gesetz angeblich das
in der Verfassung festgeschriebene Recht des "Ungeborenen" auf Leben
verletzt werde. Die Liberalisierungsbefürworter hingegen streben ein
Referendum über die Streichung eben dieser Verfassungsbestimmung an.
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat am 16.12.2010 im Fall A. B. C. gegen
Irland die Klage von Beschwerdeführerin C. (eine Frau, deren
Leben durch eine Schwangerschaft gefährdet war) gutgeheissen. Sie musste
für den Abbruch der Schwangerschaft nach England reisen, weil die
Behörden es unterlassen hatten, ein Verfahren einzurichten, das ihr
erlaubt hätte, ihren Anspruch auf einen legalen Abbruch in Irland
abklären zu lassen. Es liege daher eine Verletzung von Artikel 8 der
Europäischen Menschenrechtskonvention vor, der das Recht auf Privatleben
garantiert.
Die Klagen von A. und B. wies das Gericht hingegen mit 11 zu 6 Stimmen ab. Bei
ihnen sei es „nur“ um ihre Gesundheit, beziehungsweise ihr Wohlbefinden
gegangen und sie hätten ja die Möglichkeit gehabt, die Schwangerschaft
in England abzubrechen. Mit Rücksicht auf die in Irland vorherrschenden
moralischen Werte liege es im Ermessen Irlands, Abtreibungen aus solchen Gründen zu verbieten.
Das Urteil hat sowohl bei Befürwortern wie bei Gegnern des legalen
Schwangerschaftsabbruchs unterschiedliche Reaktionen ausgelöst.
Kommentar A.M. Rey
1983 stimmten die IrländerInnen einem Verfassungsartikel zu, wonach das Leben des Embryos ebenso geschützt ist wie dasjenige der Frau. Es blieb unklar, unter welchen Umständen ein Schwangerschaftsabbruch allenfalls zulässig wäre.
1992 hat das Oberste Gericht im Fall eines 14-jährigen Vergewaltigungsopfers entschieden, die Selbstmordgefährdung des Mädchens berechtige zum Abbruch der Schwangerschaft.
Im November des gleichen Jahres stimmte das Volk einer Verfassungsänderung zu, die es Frauen ausdrücklich erlaubt, für einen Abbruch ins Ausland zu fahren und in Irland diesbezüglich Informationen zu erhalten. Gleichzeitig lehnte es einen Verfassungszusatz ab, der Selbstmordgefahr als Grund für einen legalen Schwangerschaftsabbruch ausschliessen wollte.
Am 6. März 2002 waren die Stimmberechtigten erneut aufgerufen, darüber abzustimmen ob ein Schwangerschaftsabbruch legal sein solle, wenn die Frau selbstmordgefährdet ist – oder nur dann, wenn eine akute körperliche Lebensgefahr besteht. Es ging also in dieser Abstimmung einzig darum: Soll ein absolutes Abtreibungsverbot noch ein bisschen absoluter werden? Die Frage wurde knapp verneint.
Inzwischen reisen jährlich rund 6’000 Irinnen zum Schwangerschaftsabbruch nach England. Die Abtreibungsrate der Irinnen entspricht jener von Ländern mit einer Fristenregelung. Die Heuchelei ist also total. Das Problem wird bloss exportiert.