Abtreibung - Schwangerschaftsabbruch: Für das Recht auf einen freien Entscheid


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Letzte Aktualisierung:

Aus: SVSS-RUNDSCHAU Nr. 54, März 1998

Fristenregelung: Beratung Ja – Zwang nein

Frauen brauchen keine Zwangsberatung

In der öffentlichen Diskussion über die Fristenregelung steht die Frage im Vordergrund, ob den Frauen, wie in Deutschland, eine Zwangsberatung verpasst werden soll, bevor sie die Erlaubnis zum Schwangerschaftsabbruch erhalten.

Gemäss Antrag der Rechtskommission des Nationalrates soll ein Schwangerschaftsabbruch straflos sein, "wenn er innerhalb von 14 Wochen seit Beginn der letzten Periode auf Verlangen der Frau und unter Mitwirkung eines Arztes oder einer Ärztin […] vorgenommen wird". Nach Ablauf der Frist soll eine sozialmedizinische Indikation gelten.

Deutsches Importprodukt

Unter der Bezeichnung "Schutzmodell" beantragt die CVP, diese Fristenregelung mit einer obligatorischen Beratung "anzureichern": Die Frau soll sich vor dem Eingriff einer Beratung an einer staatlich anerkannten Stelle unterziehen müssen. Ziel dieser Beratung soll es sein, "das ungeborene Leben zu schützen, der Schwangeren die Bedeutung ihres Entscheides bewusst zu machen und ihr zu helfen, einen verantwortungsbewussten Gewissensentscheid zu treffen".

Die CVP inspiriert sich dabei an der deutschen Fristenregelung, die nicht etwa aus politischen Mehrheiten oder auf den Erfahrungen von Frauen und Fachleuten basiert, sondern dem Diktat der deutschen Herren Bundesverfassungsrichter entsprechen musste. Diese haben in einem widersprüchlichen Urteil, das streckenweise ans Absurde grenzt, offensichtlich jedem politischen Lager ein Zückerchen geben wollen und dem deutschen Bundestag bis ins letzte Detail vorgeschrieben, was er zu beschliessen habe.

Ausgerechnet dieses unglückliche Diktat will die CVP jetzt der Schweiz aufstülpen. Dass damit ein von allen akzeptierter Konsens nicht zu erreichen ist, beweist das aus Rom an die katholischen Beratungsstellen in Deutschland ergangene Verbot, die Beratungsbescheinigung auszustellen, ohne die eine Frau die ungewollte Schwangerschaft nicht abbrechen kann.

Keine neue Bevormundung!

Wir lehnen eine solche Zwangsberatung ab: Sie bedeutet eine neue Bevormundung der Frau. Die gutachterliche Kontrolle schwangerer Frauen wird durch die Zwangsberatung ersetzt. Frauen wird die Fähigkeit abgesprochen unabhängig und eigenverantwortlich zu einem Entscheid zu gelangen. Bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts gab man allein stehenden Frauen von Gesetzes wegen einen Beistand – heute hält man das offenbar noch bei schwangeren Frauen für nötig.

"Die obligatorische Beratung läuft der Philosophie der Fristenregelung vollständig zuwider, welche die Eigenverantwortlichkeit und Entscheidungsautonomie der Frau anstrebt." (Prof. Dr. iur. Christian-Nils Robert)

Der Idee der Zwangsberatung liegt letztlich der Gedanke zugrunde, dass Frauen entweder schwache, unselbständige und hilfsbedürftige Wesen sind, oder aber unmoralische Egoistinnen, denen man "ins Gewissen reden" muss. Ziel der Zwangsberatung ist es – eingestandener- oder uneingestandenermassen – Frauen einer Gehirnwäsche zu unterziehen und sie vom Abbruch abzuhalten.

Wir gehen davon aus, dass Frauen voll zurechnungsfähige und selbständige Menschen sind, auch im schwangeren Zustand. Dass sie, wenn sie sich mit dem Gedanken an einen Schwangerschaftsabbruch tragen, dies in erster Linie mit sich selbst ausmachen, meist im Gespräch mit ihrem Partner, ihrer Familie, ihrem Bekanntenkreis. Dass sie sich aus eigenem Antrieb an eine Beratungsstelle wenden, wenn sie Hilfe bei der Entscheidfindung brauchen, wie sie das auch in anderen schwierigen Lebenssituationen tun.

Es gehört zur Sorgfaltspflicht jedes Arztes, jeder Ärztin, die Frau, die mit diesem Anliegen zu ihnen kommt, zu informieren, ausgiebig mit ihr zu sprechen und sie an eine Beratungsstelle zu überweisen, wenn sie oder die Frau selbst dies für nötig halten. Z.B. wenn die Frau sehr ambivalent ist oder Sozialhilfe braucht.

Die Meinung der Fachleute

Im Vernehmlassungsverfahren zum Gesetzesänderungsvorschlag der Nationalratskommission äusserten sich alle einschlägigen Fachverbände gegen eine Zwangsberatung: Die Psychologen, die Sozialarbeiterinnen, die Familienplanungsberaterinnen, die Assistenz- und Oberärzt/innen. Auch die Verbindung der Schweizer Ärzte möchte de Beratung nicht im Strafgesetz festschreiben.

Im April 1995 hat die Arbeitsgruppe "Schwangerschaftsabbruch" in Freiburg eine Fachtagung zum Thema Beratung organisiert. Die rund 100 teilnehmenden Fachleute sprachen sich für den Ausbau des bestehenden Beratungsangebotes aus. Sie lehnten jedoch einhellig ein Obligatorium ab.

Die Freiwilligkeit sei Voraussetzung für die Vertrauensbasis, ohne die ein offenes Gespräch nicht möglich ist. Zwang dränge die Frauen in eine Rechtfertigungshaltung und provoziere Abwehrreaktionen. Er sei daher kontraproduktiv. Zwangsberatung ist in den Augen der Fachleute ein Widerspruch in sich selbst und mit der Berufsethik nicht zu vereinbaren. Ziel jeder Beratung ist es, der Klientin zu Selbständigkeit und Autonomie zu verhelfen – Zwangsberatung bewirkt das Gegenteil. Sie kann verletzen, das Selbstbewusstsein schädigen und Schuldgefühle auslösen, also eine anti-therapeutische Wirkung haben.

Erfahrungen im Ausland

Unter den Ländern mit Fristenregelung schreiben nur gerade Frankreich und Deutschland eine Zweitberatung durch eine staatliche Stelle zwingend vor. In beiden Ländern sind die meisten Fachleute darüber nicht glücklich. [Frankreich hat die Beratungspflicht 2001 abgeschafft. Anm.d.R.]

Die Erfahrung – übrigens auch in der Schweiz – zeigt, dass die meisten Frauen sich ihren Entscheid reiflich überlegt haben und fest zum Schwangerschaftsabbruch entschlossen sind, wenn sie eine Beratungsstelle oder den Arzt/die Ärztin aufzusuchen.

Die CVP beruft sich auf Angaben katholischer Beratungsstellen in Deutschland, wonach etwa ein Viertel der Frauen nach der Beratung die Schwangerschaft austragen. Nun ist es aber so, dass zu diesen konfessionellen Beratungsstellen eher Frauen gehen, die eigentlich austragen möchten und dabei Hilfe suchen. Zum Abbruch Entschlossene, die bloss den Beratungsschein wollen, gehen zu anderen Stellen, was natürlich die Statistik verfälscht.

"Frauen und Paare, die in der Beratung eine echte Entscheidungshilfe suchen, sind eher selten und liegen bei oder unter 10 Prozent." (Norma Skroch, Beratungsstellenleiterin Pro Familia, Darmstadt)

In Schweden, das kein Beratungsobligatorium kennt, beanspruchen etwa 30 Prozent der Frauen freiwillig eine Sozialberatung.

Auch Holland schreibt keine Sozialberatung vor und doch entscheiden sich 10-15% der Frauen nach dem Gespräch mit dem Arzt/der Ärztin fürs Austragen. Holland hat eine der niedrigsten Abtreibungsraten weit und breit – ein klarer Beweis, dass sich mit Zwangsberatung der "Lebensschutz" nicht verbessern lässt.

Fazit

Sollen wir tatsächlich, der CVP zuliebe, knappe öffentliche Gelder in den Aufbau einer Beratungs-Infrastruktur investieren, die von etwa 70 Prozent der Frauen weder gewünscht noch gebraucht wird? Das Geld wäre wesentlich sinnvoller eingesetzt, wenn die Beratungsstellen mehr Personal einstellen könnten nicht für Zwangsberatungen, sondern für echte Präventionsarbeit (an Schulen, mit Migrantinnen und Randgruppen z.B.) und wenn breit angelegte Informationskampagnen für Schwangerschaftsverhütung, analog zu den AIDS-Kampagnen, finanziert werden.

"Es hat keinen Zweck, mit Frauen zu sprechen, die gar nicht zu sprechen wünschen, weil alles schon klar ist." (Dr,. med. Kristina Holmgren, Gynäkologin, Stockholm)

Der Schlüssel zur Senkung der Abtreibungszahlen liegt nicht in der Zwangsberatung ungewollt schwangerer Frauen. Er liegt in der Vermeidung ungewollter Schwangerschaften durch verstärkte Präventionsbemühungen sowie in der Schaffung eines kinder- und familienfreundlichen Klimas.

Nachdem sich die CVP zur Erkenntnis durchgerungen hat, dass letztlich nur die Frau selbst über Abbruch oder Austragen einer unerwünschten Schwangerschaft entscheiden kann, ist zu hoffen, dass die Partei auch begreifen lernt, dass Frauen durchaus in der Lage sind zu entscheiden, ob sie eine Beratung brauchen oder nicht. Das Beratungsangebot ausbauen: Ja – einen sinnlosen Beratungsleerlauf organisieren: Nein.

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