RUNDSCHAU No. 63, Januar 2001

Schweizer Mühlen mahlen langsam
Fristenregelung erneut vertagt

Seit acht Jahren laboriert das eidgenössische Parlament an einer Fristenregelung. Der Nationalrat hat in der vergangenen Wintersession in zweiter Lesung einer akzeptablen Kompromisslösung zugestimmt, aber die Zitterpartie im Ständerat ist noch nicht ausgestanden. Die Meinung der Bevölkerung hingegen ist längst klar: Sie will eine Fristenregelung.

Im Frühjahr 1993 haben Nationalrätin Barbara Haering Binder und 62 Mitunterzeichner/innen aus acht Parteien mit einer Parlamentarischen Initiative die Revision des Strafgesetzbuches im Sinne einer Fristenregelung verlangt.

Fünfeinhalb Jahre später, im Oktober 1998, stimmte der Nationalrat einer entsprechenden Gesetzesänderung in erster Lesung mit 98 zu 73 Stimmen zu. Nochmals zwei Jahre vergingen, bis der Ständerat am 21. September 2000 der Vorlage in abgewandelter Form mit 21 zu 18 Stimmen ebenfalls zustimmte. Am 7. Dezember ist der Nationalrat teilweise auf den Ständerats-Beschluss eingeschwenkt.

Kompromisslösung des Nationalrates

Die Hoffnung, die beiden Räte würden die Differenzen noch während der Wintersession bereinigen, hat sich zerschlagen. Immerhin sind sie sich sehr nahe gekommen: Der Grundsatz, dass der Entscheid über einen Abbruch in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft (gerechnet ab Beginn der letzten Periode) bei der Frau liegen soll, ist klar akzeptiert. Beide Räte haben sich geeinigt, dass die Ärztin oder der Arzt die Frau vorher eingehend zu beraten und sie auf das Angebot der bestehenden Beratungsstellen aufmerksam zu machen hat.

Zwei Differenzen müssen in der kommenden Märzsession noch ausgebügelt werden: Im Gegensatz zum Ständerat will der Nationalrat darauf verzichten, dass die Frau sich auf eine Notlage berufen muss und dass die Kantone Kliniken bestimmen sollen, wo Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden dürfen.

Forderungen an den Ständerat

Die „Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch", in welcher die SVSS mit sechs weiteren Frauendach- und Fachverbänden zusammenarbeitet, die insgesamt eine halbe Million Mitglieder vertreten, zeigte sich befriedigt vom Entscheid des Nationalrates. Zwar hätte sie eine Frist von mindestens 14 Wochen vorgezogen, kann aber 12 Wochen akzeptieren, weil auch nach Ablauf dieser Frist ein Schwangerschaftsabbruch aus psychosozialen Gründen noch möglich ist.

Bedenken hat die Arbeitsgruppe gegenüber dem Begriff der "Notlage". Sollte der Ständerat daran festhalten, so fordert sie, dass zumindest klargestellt werden muss, dass die Notlage nicht schriftlich begründet werden muss und es sich dabei nicht um eine durch Dritte überprüfbare Indikation handelt, sondern dass allein die subjektive Einschätzung ihrer Lage durch die betroffene Frau selbst massgebend ist.

Als gefährlich erachtet die Arbeitsgruppe die Bestimmung betreffend zugelassene Kliniken. Einerseits bekämen konservative Kantone dadurch über die Hintertüre wiederum die Möglichkeit, eine restriktive Praxis durchzusetzen. Andrerseits wären derart offiziell bezeichnete „Abtreibungskliniken" einfache Ziele für Manifestationen fanatischer Abtreibungsgegner. Sollte eine derartige Bestimmung Eingang ins revidierte Gesetz finden, müssten die Kantone zumindest verpflichtet werden, eine ausreichende Versorgung zu garantieren und Abbrüche müssten wie bisher auch in hierfür eingerichteten Praxen durchgeführt werden können.

CVP : Zwängerei

Beide Räte haben das Modell der CVP abgelehnt, wonach die Frau sich vor dem Abbruch noch bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle beraten lassen müsste. Im Ständerat unterlag die CVP knapp mit 21 zu 19 Stimmen. Der Nationalrat hingegen erteilte ihrem Modell am 7. Dezember mit 116 zu 40 Stimmen eine noch deutlichere Absage als bereits 1998. Die Verbissenheit, mit welcher die CVP versuchen will, ihren Antrag im Ständerat nochmals einzubringen, kann nicht anders als mit Zwängerei bezeichnet werden.

Unsinnige Zwangsberatung

Eine obligatorische Zweitberatung – zusätzlich zum Arztgespräch – wie sie die CVP will, wird von allen zuständigen Fachverbänden abgelehnt. Sie erachten ein erzwungenes Beratungsgespräch als widersinnig und kontraproduktiv. Echte Kommunikation ist nur auf freiwilliger Basis möglich.

Die „Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch" lehnt dieses Modell eindeutig ab. Sie betrachtet es als neue Form der Bevormundung der Frau und Misstrauensvotum gegenüber Frauen und Ärzteschaft. Anstatt zum Psychiater wie bisher, müsste die Frau zur Psychologin oder zum Sozialarbeiter gehen, um die Erlaubnis zum Schwangerschaftsabbruch zu erhalten. Das darf nicht das Resultat der jahrzehntelangen Reformbestrebungen sein.

Von den neun westeuropäischen Ländern mit Fristenregelung haben nur Frankreich und Deutschland eine Zweitberatung bei einer offiziellen Stelle institutionalisiert. Schweden hat sie abgeschafft und Frankreich ist ebenfalls im Begriff, sie abzuschaffen. Die französische Nationalversammlung hat Anfang Dezember 2000 mit 323 zu 222 Stimmen einer Gesetzesänderung bereits zugestimmt, wonach eine Beratung – ausser bei Minderjährigen – bloss noch angeboten werden muss, so wie es National- und Ständerat jetzt bei uns beschlossen haben. Eine ähnliche Regelung gilt in sechs Ländern (B, DK, I, N, NL, S).

In keinem andern Bereich ist eine zwangsweise Beratung – zusätzlich zum Arztgespräch – gesetzlich vorgeschrieben, weder bei einem HIV-Test, noch bei einer Sterilitätsbehandlung oder einer in vitro-Fertilisation und schon gar nicht bevor ein Paar sich zur Geburt eines Kindes entscheidet, obwohl diese Verantwortung wesentlich grösser ist als die eines frühzeitigen Schwangerschaftsabbruchs!

Volksmehrheit für Fristenregelung

Die CVP beteuert, dass der heutige Zustand unhaltbar ist und dass der Entscheid über den Abbruch einer Schwangerschaft bei der Frau liegen muss. Mit ihrer Zwängerei riskiert sie aber einen Nullentscheid des Parlamentes. Dann nämlich, wenn sich die beiden Kammern nicht einigen können. Und sollte die CVP ihr Modell im Parlament wider Erwarten doch noch durchboxen, ist der Scherbenhaufen programmiert: Niemand hat Lust, sich in einem Referendumskampf gegenüber den Fundamentalisten für eine Fristenregelung à la CVP zu engagieren. Auf Seite der liberalen Kräfte gibt es vielmehr Kreise, die sich für diesen Fall ihrerseits ein Referendum überlegen.

Bleibt zu hoffen, dass die politische Vernunft obsiegt und sich im Parlament im März eine Mehrheit definitiv hinter eine akzeptable Konsenslösung stellt, die Frauen als autonome und selbstverantwortliche Personen behandelt.

Sollte uns in der Folge eine Referendums-Abstimmung aufgezwungen werden, dann werden wir sie gewinnen: Fünf durch verschiedene Institute in den Jahren 1996 bis 2000 durchgeführte repräsentative Meinungsumfragen haben regelmässig Mehrheiten zwischen 60 und 76 Prozent der Stimmberechtigten für die Fristenregelung ergeben.


Frankreichs Nationalversammlung beschliesst:
Abschaffung der Zwangsberatung

Am 5. Dezember hat die Nationalversammlung in Frankreich mit 323 zu 222 Stimmen eine Gesetzesrevision gutgeheissen, die die Zwangsberatung vor einem Schwangerschaftsabbruch (ausgenommen für Minderjährige) abschaffen und die Frist von bisher 12 auf 14 Wochen nach der letzten Periode verlängern will.

Ausserdem sollen Minderjährige nicht mehr obligatorisch die Zustimmung der Eltern benötigen, wenn es ihnen unmöglich scheint, mit den Eltern zu sprechen. Sie können sich in diesem Fall durch eine erwachsene Person ihrer Wahl begleiten lassen. Abbrüche sollen nicht mehr nur an zugelassenen Kliniken, sondern unter gewissen Bedingungen neu auch in Arztpraxen vorgenommen werden dürfen.

Die Nationalversammlung will den Schwangerschaftsabbruch nicht mehr im Strafgesetz regeln, sondern in einem Spezialgesetz. Sie ging in ihren Beschlüssen deutlich über die Anträge der Regierung hinaus. Die Frauenorganisationen und Fachverbände, die sich seit Jahren für eine Verbesserung der "Loi Veil" aus dem Jahr 1975 einsetzten, haben sich auf der ganzen Linie durchgesetzt. Der Senat wird die Vorlage demnächst beraten.

Die Sterilisation, die bisher in Frankreich offiziell unzulässig war, soll legalisiert werden. An den Schulen wird die Sexualerziehung institutionalisiert.

Am 30. November hat das Parlament ferner definitiv den rezeptfreien Verkauf der "Pille danach" (Norlevo) durch Apotheken gutgeheissen. Sie ist für Minderjährige kostenlos und darf auch durch Schulkrankenschwestern abgegeben werden.


Polen:
Folgen des Abtreibungsverbots

Seit 1993 ist in Polen – mit einem kurzen Intermezzo 1997 – ein restriktives Abtreibungsgesetz in Kraft. Seither sind Frauen in den Untergrund gedrängt. Gemäss einem Bericht der polnischen "Föderation für Frauen und Familienplanung" müssen die illegalen Abtreibungen auf mindestens 80’000 bis 200’000 geschätzt werden.

Ab 1956 war in Polen der Schwangerschaftsabbruch liberal geregelt. Ein Abbruch aus sozialen Gründen war erlaubt und wurde an öffentlichen Spitälern kostenlos durchgeführt. Familienplanung wurde hingegen vom Staat kaum gefördert und war für viele Polinnen schwer zugänglich. Schwangerschaftsabbruch war daher eine gebräuchliche Methode der Geburtenregelung.

Nach dem Niedergang des kommunistischen Regimes wurde 1993, unter dem erstarkten Einfluss der katholischen Kirche, der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch gesetzlich radikal eingeschränkt. Betrug die Zahl der registrierten Abbrüche vor 1990 um die 100’000 pro Jahr, so sank sie 1994 auf gerade noch 782.

1994 verhinderte Präsident Walewsa mit seinem Veto die vom neu zusammengesetzten Parlament beschlossene Rückkehr zu einem liberalen Gesetz. Nach seiner Abwahl konnte sich das Parlament durchsetzen, doch wurde die beschlossene Revision 1997 vom konservativen Verfassungsgericht ungültig erklärt. So ist seit 1998 der Schwangerschaftsabbruch wieder nur aus streng medizinischen Gründen sowie wegen Vergewaltigung oder Missbildung des Fötus erlaubt. Die offizielle Statistik weist für 1999 noch 151 Eingriffe aus.

Oft erhalten nicht einmal Frauen mit gravierenden medizinischen Problemen die Erlaubnis zum Abbruch. Viele öffentliche Spitäler verweigern jeglichen (auch legalen) Eingriff.

Im Untergrund

Die "Föderation für Frauen und Familienplanung" hat 1999 mit breit angelegten wissenschafltich durchgeführten Befragungen von Ärzten, Pflegepersonal und Frauen die Auswirkungen des Abtreibungsverbotes erforscht. In ihrem Forschungsbericht kommt sie zum Schluss, dass es in Polen einen florierenden "schwarzen Markt der Abtreibung" gibt und dass die Zahl der illegalen Eingriffe mit mindestens 80’000 zu beziffern ist, was annähernd der Zahl der Abbrüche vor 1990 entspricht.

1% der 210 befragten Frauen gaben eine Abtreibung im vergangenen Jahr zu. Hochgerechnet auf das ganze Land ergäbe dies rund 90’000 Abtreibungen, bei einer Geburtenzahl von 400’000.

Es ist allgemein bekannt, dass an Privatkliniken und in Praxen illegal Abtreibungen durchgeführt werden, zum Teil zu Wucherpreisen. Frauen, die es sich leisten können, fahren auch ins Ausland: Russland, Deutschland oder auch Holland, wo allein mehrere 100 Polinnen behandelt wurden.

Negative Auswirkungen

Vielfach werden auch Laien- oder Selbstabtreibungen vorgenommen, wenn das Geld für die Privatklinik fehlt. Den meisten der befragten Krankenschwestern waren Fälle von Komplikationen aus solchen nicht professionellen Eingriffen bekannt.

Die Zahl der nach der Geburt im Spital zurückgelassenen Kinder hat sich von 252 im Jahr 1993 auf 737 im Jahr 1999 fast verdreifacht.

Die Geburtenrate ist – entgegen der Hoffnung der Regierung – nicht gestiegen, sondern weiter gesunken und gehört mit 1,4 Kindern pro Frau heute zu den niedrigsten in ganz Europa.

Verhütung

Die Befragung ergab ferner, dass das Wissen der Bevölkerung über Verhütung sich verbessert hat, dass aber Vorurteile und Fehlinformationen noch weit verbreitet sind. Vielen Frauen bleibt der Zugang zu den verlässlichen aber relativ teuren Verhütungsmitteln aus finanziellen Gründen verwehrt. Nur rund 8% der Frauen nehmen die Pille. 25% wenden unsichere Methoden an (Coitus interruptus, Kalender-Methode). Sterilisation ist in Polen verboten.

Die Föderation beklagt, dass seit 1999 Sexualerziehung an den Schulen nicht mehr obligatorisch ist und dass die staatlich zugelassenen Unterrichtsmaterialien lückenhafte und falsche Informationen über Verhütung, namentlich die Pille enthalten.


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