RUNDSCHAU Nr. 61, Mai 2000
Die Kruz mit der Zwangsberatung
Auslandnachrichten

FRISTENREGELUNG IM STÄNDERAT:
Wichtiger Etappensieg

Am 7. April hat die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates dem Grundsatz einer Fristenregelung zugestimmt. Damit ist die SVSS ihrem Ziel wesentlich näher gekommen.

Mit 7 : 5 Stimmen hat die Rechtskommission des Ständerates den Antrag der CVP für eine obligatorische Zweit-Beratung bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle abgelehnt.

In Abweichung vom Beschluss des Nationalrates will sie jedoch den behandelnden Arzt verpflichten, die Frau eingehend zu beraten und sie darauf hinzuweisen, dass sie sich unentgeltlich an eine Schwangerschaftsberatungsstelle wenden kann. Ferner beantragt die Kommission, dass medizinischem Personal, das die Mitwirkung an Schwangerschaftsabbrüchen verweigert, daraus kein Nachteil erwachsen darf.

Das Plenum des Ständerates wird höchst wahrscheinlich in der Juni-Session über die Fristenregelung beschliessen. Die SVSS ist optimistisch, dass die Ratsmehrheit dem Kommissionsantrag folgen wird.

So oder so wird sich eine Differenz zum Nationalrat ergeben. Es darf jedoch damit gerechnet werden, dass ein Konsens noch in diesem Jahr (Herbst- oder Wintersession) gefunden und die Fristenregelung vom Parlament definitiv verabschiedet wird.

Volksabstimmung kommt

Ein Referendum von Seiten der extremen Abtreibungsgegner ist für diesen Fall bereits angekündigt. Es dürfte aber kaum breite Unterstützung finden. Dass die CVP sich mit den Extremisten ins gleiche Boot setzen wird, wenn im Parlament ein vernünftiger Kompromiss gefunden werden kann, scheint eher unwahrscheinlich. Ob das Referendum überhaupt zustande kommt, bleibt abzuwarten.

Eine Volksabstimmung steht uns indessen auf jeden Fall bevor, nachdem die extreme Abtreibungsverbots-Initiative unter dem irreführenden Namen "Für Mutter und Kind" mit knapp 100’000 gültigen Unterschriften eingereicht worden ist.

Umstrittene Beratung

Es war vorauszusehen, dass die Frage der Beratung ein zentraler Punkt der politischen Diskussion um die Fristenlösung sein würde. Die SVSS hat den Vorschlag der CVP, nach deutschem Modell obligatorisch eine Zweitberatung bei einer staatlich anerkannten Stelle vorzuschreiben, von Anfang an abgelehnt. Zusammen mit der Arbeitsgruppe "Schwangerschaftsabbruch" leisten wir seit 1993 Informations- und Meinungsbildungsarbeit im Parlament und in der Öffentlichkeit, um der Fristenregelung ohne obligatorische Beratung zum Durchbruch zu verhelfen.

Der Standpunkt der Arbeitsgruppe lässt sich folgendermassen zusammenfassen:

  • Frauen haben ein Recht auf Beratung
  • Beratungszwang ist abzulehnen
  • Es ist ein flächendeckendes niederschwelliges Beratungsangebot zu schaffen.

Der Beschluss der Ständeratskommission darf als Erfolg unserer seriösen Arbeit gewertet werden. Er kommt der CVP entgegen und entspricht doch weitgehend unseren Vorstellungen. Die Beratung durch die Ärztin/den Arzt gehört zu deren beruflicher Sorgfaltspflicht. Die zusätzliche Vorschrift, die Frau auf das bestehende Beratungsangebot aufmerksam zu machen, ist nur von Vorteil.

Der obligatorische Besuch einer Beratungsstelle hingegen spricht der Frau die Eigenverantwortlichkeit, die man ihr mit der Fristenregelung zuzugestehen vorgibt, gleich wieder ab. Ihr wegen illegaler Abtreibung mit Strafe zu drohen, wenn sie keine Beratungsstelle besucht, wäre unverhältnismässig.

Frauen beraten sich in der Regel mit ihren Angehörigen und sind bereits entschieden, wenn sie den Arzt aufsuchen. Eine obligatorische Zweit-Beratung verkommt so zur Alibiübung. Aus dieser Erfahrung hat Schweden per 1.1.1996 die bis dahin für Abbrüche zwischen der 12. und 18. Schwangerschaftswoche vorgeschriebene Sozialberatung abgeschafft.

Ein Vergleich der Länder Europas zeigt, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nicht mit einer obligatorischen Zweit-Beratung gesenkt wird – eine solche kennen nur Frankreich und Deutschland – sondern mit einer Politik der Prävention und dem Vorhandensein von sozialen Netzen für Familien mit Kindern.

Nach Meinung der Fachleute ist obligatorische Beratung psychologisch gesehen ein Widerspruch in sich. Sie ist kontraproduktiv, weil sie Abwehr erzeugt statt Kommunikation. In der Vernehmlassung von 1997 haben daher alle zuständigen Fachorganisationen (Psychologen, Sozialarbeiter, Familienplanungsberaterinnen, Ärztinnen) eine solche Vorschrift klar abgelehnt.

Recht auf Verweigerung

Weniger erbaut sind wir über den Zusatz der Ständeratskommission betr. das Recht des medizinischen Personals auf Verweigerung der Mitwirkung am Schwangerschaftsabbruch.

Eine solche Bestimmung passt einerseits nicht ins Strafgesetz. Sie hat nichts mit den Bedingungen für einen straflosen Schwangerschaftsabbruch zu tun.

Andrerseits haben andere Länder mit solchen Bestimmungen schlechte Erfahrungen gemacht: Noch heute gibt es z. B. im Süden Italiens illegale Laienabtreibungen, weil dort in vielen Spitälern niemand bereit ist, legale Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Auch in Österreich und Spanien sind viele Regionen deshalb unterversorgt.

Hierzulande haben sich extreme Abtreibungsgegner/innen in der Gruppe "Betroffenes Spital" zusammengeschlossen und verfolgen systematisch das Ziel, durch "Gewissensverweigerung" Schwangerschaftsabbrüche an den Spitälern zu verunmöglichen. In mehreren Kantonen wurde versucht, das Verweigerungsrecht auf kantonaler Ebene zu verankern.

Auf keinen Fall darf ein Verweigerungsrecht für medizinische Fachpersonen normiert werden, ohne gleichzeitig die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen:

  • Das Recht der Patient/innen auf gesundheitliche Versorgung im Rahmen des Gesetzes – bzw. der Leistungsauftrag eines Spitals – hat Vorrang;
  • Niemand hat Anspruch auf eine Anstellung, der einen Teil der Arbeit, die zum Pflichtenheft dieser Anstellung gehört, verweigert (z. B. Mitwirkung bei Schwangerschaftsabbrüchen);
  • Jede Gesundheitsfachperson, die eine bestimmte Behandlung verweigert, hat die Patientin oder den Patienten sofort davon in Kenntnis zu setzen und unverzüglich an eine andere Stelle zu verweisen, wo diese Dienstleistung erhältlich ist.

In diesem Sinn ist der Antrag der Ständeratskommission nachzubessern.


Die Krux mit der Zwangsberatung

(Aus einem Interview der Frauenzeitschrift EMMA mit den Beraterinnen Marlis Meckel und Elvira Nagel, von der Arbeiterwohlfahrt, zu ihrer Erfahrung mit der obligatorischen Beratung in Deutschland. EMMA 10/90.)

[…] Emma: Was ist dran an der Behauptung, dass Frauen häufig von ihren Männern zum Abbruch gezwungen werden?

Meckel: In unserer praktischen Arbeit begegnet uns das so gut wie nie. Noch nicht einmal bei den Frauen, von denen man allgemein annimmt, die werden von ihren Männern unterdrückt. Auch die türkischen Frauen zum Beispiel entscheiden gerade diese Frage selbst!

Emma: Wollen sich die ungewollt schwangeren Frauen von Ihnen wirklich beraten lassen – oder kommen sie nur, weil sie müssen?

Meckel: 98 % aller Frauen, die zu uns kommen, wissen, was sie wollen und ändern auch diese Meinung nicht. Sie wollen kein (weiteres) Kind! Danach sucht sich die Schwangere auch die Beratungsstelle aus. Sie will nicht zu etwas anderem überredet werden. Wenn sie keinen Abbruch, aber finanzielle Unterstützung will, geht sie eben zu der katholischen oder evangelischen Beratungsstelle. Wenn sie einen Abbruch will, kommt sie zu uns. Das ist eine ganz klare Vorauswahl. […]

Nagel: Viele sagen schlicht: "Ich will einen Abbruch". Sehr klar und deutlich. Hinter dem Gesetz stecken ja ganz bestimmte Vorstellungen, nämlich dass jede Frau einen fürchterlichen Konflikt durchstehen und sich martern muss. Das arme Opfer muss eine Entscheidung treffen auf Leben und Tod. Ja, und dann erlebe ich die Frauen in der Beratung, und sie wirken ganz stark. "Ich habe mir das lange überlegt", sagen sie, "für mich kommt überhaupt nichts anderes in Frage."

Meckel: […] Die Frauen wissen sehr wohl selbst, was gut für sie ist und was sie sich zutrauen.

Nagel: Am Anfang des Gesprächs frage ich die Frau immer, ob sie überhaupt weiss, was diese Beratung soll, und die meisten sagen: "Nein." Oder sie sagen: "Sie sollen mir hier etwas erzählen, damit ich doch noch das Kind kriege." […] Meine Erfahrung ist, dass diese Zwangsberatung so gut wie keinen Wert für die Frau hat. Selbst wenn sie sich überlegen würde: "Ich könnte gut eine Beratung gebrauchen" – der Zwang macht diesen Impuls kaputt. Wenn jemand Ahnung von Beratungen hat, dann weiss er, dass die Freiwilligkeit Voraussetzung für den Erfolg ist. Das ist einfach eine Frage der Fachkompetenz.


Neues aus dem Ausland

Italien

Im Jahr 1998 ist die Zahl der registrierten Schwangerschaftsabbrüche erneut gesunken und hat mit 138’000 einen neuen Tiefststand erreicht. Gegenüber dem Maximum von 231’000 im Jahr 1983 beträgt der Rückgang 40 %. Italien gehört heute zu den Ländern mit den niedrigsten Abtreibungsraten in Europa.

Die illegalen Abtreibungen wurden 1983 noch auf 100’000 geschätzt, heute rechnet das Zentralinstitut für Statistik Istat mit 20-25’000. Diese finden sich vor allem in Süditalien, weil dort viele Spitäler Schwangerschaftsabbrüche verweigern und sich wirksame Verhütung noch nicht so gut durchgesetzt hat wie im Norden.

Ein neuer Trend ist, dass immer mehr Ausländerinnen unter den betroffenen Frauen sind. Ihre Abortrate ist viermal höher als jene der Italienerinnen – ein Phänomen, das sich ähnlich in vielen Ländern Westeuropas findet.

Trotz der positiven Entwicklung haben Vertreter der Rechtsparteien die Veröffentlichung dieser Zahlen einmal mehr benützt, um die seit 1978 geltende Fristenlösung zu kritisieren. Die Alleanza nazionale (Neofaschisten) hat lauthals verkündet, sie werde das Gesetz im restriktiven Sinn revidieren, falls die Rechte die Wahlen gewinne. Ihre Koalitionspartnerin, die Forza Italia von Berlusconi, ist jedoch in der Frage gespalten.

Linke und Radikale verteidigen das Gesetz mit dem Hinweis, dass die Liberalisierung die Zahl der Laienabtreibungen massiv gesenkt hat. Sie fordern eine bessere Durchsetzung des Gesetzes und vermehrte Anstrengungen zur Prävention, namentlich im Süden und bei den Migrantinnen. Seit die Fristenlösung 1978 in Kraft trat und 1981 in einem Referendum von 68 % der Stimmenden gutgeheissen wurde, haben die Polemiken nie aufgehört.

Finnland

Nachdem die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche während mehr als 20 Jahren rückläufig war, hat sie Ende der 90er Jahre leicht zugenommen. Diese Trendwende wird von Forscher/innen u. a. darauf zurückgeführt, dass die Pille um 30% teurer geworden ist. Ausgenommen vom neuen Trend blieb bezeichnenderweise eine Region, wo gezielte Familienplanungsprogramme durchgeführt wurden. (A. Vikat u.a. Vortrag an der European Population Conference, Den Haag, 1999)

Nordirland

Das britische Abtreibungsgesetz gilt nicht in Nordirland. In diesem Teil des Vereinigten Königreiches ist immer noch ein restriktives Gesetz aus dem Jahr 1928 in Kraft. Frauen aus Nordirland reisen daher nach England zum Schwangerschaftsabbruch oder treiben illegal ab.

26 Frauen haben jetzt eine gerichtliche Klage eingereicht und fordern, dass der Geltungsbereich der britischen Gesetzgebung auf Nordirland ausgedehnt wird. Sie wollen den Fall nötigenfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterziehen.

Osteuropa

In der Türkei wurde Abtreibung 1983 legalisiert. Seither sind die Todesfälle durch illegale Abtreibung verschwunden.

Dasselbe gilt für Albanien, wo die Abtreibung 1991 legalisiert wurde. Die Zahl der legalen Schwangerschaftsabbrüche beginnt hier wieder zu sinken, dank immer besserem Zugang zur Verhütung.

In vielen andern Länder der Region führte die Propagierung der Familienplanung und die rasche Verbreitung von modernen Verhütungsmethoden zu einem markanten Rückgang der Abtreibungszahlen. In Moldawien, Rumänien und der Slowakei hat sich die Zahl in den letzten 10 Jahren mindestens halbiert.

Lateinamerika

Überall in Lateinamerika macht die katholische Kirche in Fragen der Familienplanung und der Abtreibung ihre Macht und ihren Einfluss geltend. Alle Länder haben äusserst restriktive Abtreibungsverbote. Die Kirche bekämpft vehement jeden leisesten Versuch der Lockerung. Trotzdem ist die Zahl der (illegalen) Abtreibungen hoch. Sie wird für den ganzen Kontinent auf 4 Mio. jährlich geschätzt, die Abortrate auf 37 pro 1000 Frauen (in der Schweiz zum Vergleich: 8,3/1000). Rund 20% der Müttersterblichkeit sind auf Komplikationen illegaler Abtreibungen zurückzuführen.

Bolivien

Das bolivianische Strafgesetz lässt einen Schwangerschaftsabbruch zu, wenn die Schwangerschaft Leben oder Gesundheit der Frau gefährdet oder aus Vergewaltigung oder Inzest entstanden ist. Allerdings fehlen Ausführungsbestimmungen. Daher war es Mitte 1999 einem Richter möglich, den Schwangerschaftsabbruch an einem 11-jährigen Mädchen abzulehnen, das von seinem Stiefvater vergewaltigt worden war. Die katholische Kirche hatte über kircheneigene Medien, Interventionen des päpstlichen Nunzius, Prozessionen alle Hebel in Gang gesetzt, um Behörden und Ärzteschaft unter Druck zu setzen.

Brasilien

Gegen den vehementen Widerstand der katholischen Bischöfe hat die Frauenlobby erreicht, dass die brasilianische Regierung die öffentlichen Spitäler verpflichtet hat, legale Schwangerschaftsabbrüche auch durchzuführen. Das geltende Gesetz erlaubt Abbrüche nur bei Vergewaltigung und wenn die Schwangerschaft das Leben der Frau gefährdet. Die Regierung schlägt vor, auch eine schwere Missbildung des Fötus als Grund zu anerkennen. 1997 wurden über 200’000 Brasilianerinnen wegen Komplikationen aus einer illegalen Abtreibung hospitalisiert.

Peru

Jährlich sterben nach offiziellen Angaben 2’000 Frauen an den Folgen unprofessionell vorgenommener Abtreibungen. Frauen, denen eine illegale Abtreibung nachgewiesen wird, müssen mit Gefängnis bis zu 2 Jahren rechnen.

El Salvador

1998 ist die bereits sehr restriktive Regelung der Abtreibung im Strafgesetz noch verschärft worden: Abtreibung ist nun in keinem Fall mehr zulässig. Das Strafmass ist auf 2 bis 8 Jahre erhöht worden. Damit nicht genug, ist 1999 ausserdem das Recht auf Leben von der Befruchtung an in die Verfassung geschrieben worden. Nachforschungen des Center for Reproductive Law and Policy haben ergeben, dass die katholische Kirche ganz massiv für diesen Verfassungszusatz mobilisiert hat. Das Parlament wurde unter starken Druck gesetzt. Busladungen voll Schulkinder wurden zu Demonstrationen in die Hauptstadt verfrachtet und Kirchgänger/innen wurden zum Unterschreiben einer Petition genötigt.

Für die Frauen ist es noch schwieriger geworden, einen illegalen Abtreiber zu finden. Und wenn Komplikationen auftreten, wagen sie es nicht, Spitalhilfe zu suchen, aus Angst, angezeigt zu werden.

Venezuela

Ohne Erfolg blieb das Lobbying der Bischofskonferenz und des Papstes in Venezuela. In der neuen Verfassung wurde "von der Befruchtung an" aus dem Grundrecht auf Leben gestrichen. Neu ist in der Verfassung das Recht der Paare auf Familienplanung verankert. Die neue Verfassung wurde Ende 1999 vom Volk – trotz kirchlicher Gegen-Propaganda – mit 71% der Stimmen angenommen.


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