Frauen
sind mündige Menschen !
CVP-Modell: Augenwischerei
Seit
30 Jahren wird in der Schweiz über die Fristenregelung diskutiert. Jetzt ist sie vom
Parlament beschlossen. Die Gesetzesrevision soll endlich den direkt Betroffenen, den
ungewollt schwangeren Frauen und ihren Partnern, einen eigenen Gewissensentscheid
zugestehen in einer zutiefst persönlichen Frage. Der Frage, ob sie zu einem bestimmten
Zeitpunkt in ihrem Leben in der Lage sind, die grosse Verantwortung für ein Kind zu
übernehmen.
Während mehreren Jahren hat das Parlament die
Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs beraten. Es wurden Fachleute angehört und
verschiedene Vorschläge diskutiert. Wie das in unserer Demokratie die Regel ist, wurde
schliesslich eine Kompromisslösung verabschiedet.
Entgegen allen demokratischen Gepflogenheiten
ist die CVP nicht bereit, dies zu akzeptieren. Sie versteift sich auf ihr in Deutschland
abgegucktes Modell, wonach die Frau vor einem Schwangerschaftsabbruch – zusätzlich
zum Arztgespräch – eine staatlich kontrollierte Beratungsstelle aufsuchen muss.
Dieses Modell wurde in beiden Räten zweimal abgelehnt. Beleidigt, kein Gehör gefunden zu
haben, beschliesst die CVP ein Referendum. Gleichzeitig hat sie den wörtlich genau
gleichen Text, der im Parlament mehrmals Schiffbruch erlitten hat, als neuen Vorstoss
wieder eingereicht. Eine unfassbare Sturheit.
Die CVP verficht ihr Modell mit falschen
Argumenten. Es geht nicht um die Alternative „radikale Fristenregelung" oder
„Schutz- und Beratungsmodell". Der parlamentarische Kompromiss schreibt ein
eingehendes Beratungsgespräch mit der Ärztin oder dem Arzt vor. Die Frau muss zudem auf
das Angebot der bestehenden Beratungsstellen aufmerksam gemacht werden.
Auch das CVP-Modell ist eine Fristenregelung.
Von Schutz ist darin nichts zu finden. Es erschöpft sich vielmehr im Zwang für alle
Frauen, nebst dem Gespräch mit dem Arzt noch eine Beratungsstelle aufzusuchen. Auch dann,
wenn sie schon längst alles überdacht und beraten haben und der Entscheid klar ist. Die
jahrzehntelangen Erfahrungen in Schweden, Deutschland und Frankreich zeigen, dass ein
solcher Zwang nutzlos ist. Frauen, die eine Beratung oder Hilfe brauchen, suchen sich
diese von selbst. Schweden hat die Konsequenzen gezogen und die obligatorische
Zweit-Beratung bei einer Sozialstelle 1996 abgeschafft.
Das Zwangsberatungs-Modell ist ein pauschales
Misstrauensvotum gegenüber Frauen und Ärzteschaft. Man traut den Frauen nicht zu, eine
verantwortungsbewusste Entscheidung zu treffen, ohne dass man ihnen ins Gewissen redet.
Ärztinnen und Ärzten traut man nicht zu, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben.
Eingestandenes oder uneingestandenes Ziel des Beratungsobligatoriums ist es, Druck auf die
Frau zum Austragen der ungewollten Schwangerschaft auszuüben.
Das Beratungsobligatorium wird auch mit den
Ausländerinnen begründet. Das Sprachenproblem stellt sich jedoch bei den
Beratungsstellen genau gleich wie bei der Ärztin oder dem Arzt. Die Lösung dieses
Problems liegt nicht in Zwangsberatung, sondern in Übersetzungsdiensten für
Ausländerinnen im Gesundheitswesen.
Der Schlüssel zur Senkung der
Abtreibungszahlen liegt in der Vermeidung ungewollter Schwangerschaften durch verstärkte
Präventionsbemühungen. Mehr öffentliche Mittel sollten für diesen Zweck eingesetzt
werden, nicht für Alibi-Beratungen.
Das CVP-Modell wird von den Berufsverbänden
jener Fachleute, die solche Beratungen durchzuführen hätten, klar abgelehnt. An einer
Fachtagung kamen sie 1995 zum Schluss: „Ein sinnvolles Gespräch kann nur zustande
kommen, wenn die Frau das Gespräch wünscht. Ziel der Beratung ist es, ihre
Selbstverantwortung zu stärken, was mit Zwang nicht zu vereinbaren ist. Frauen haben
Anspruch auf Beratung, diese soll aber freiwillig sein." Zwang ist entwürdigend und
erzeugt Abwehr. Er ist daher kontraproduktiv und kann sich sogar psychisch schädigend
auswirken.
Die CVP hat den Sinn für die Realität
verloren, wenn sie meint, das Parlament werde in Kürze erneut auf ihr ausgiebig
diskutiertes und mehrmals abgelehntes Modell eingehen. Mit dem Referendum verteidigt sie
nichts anderes als den Status quo, den sie immer als unhaltbar bezeichnet hat. Damit
desavouiert sich die Partei selbst.
Anne-Marie Rey
Homepage SVSS / USPDA
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