Chronologie
der Ereignisse 1970 – 2002
1942 Das
schweizerische Strafgesetzbuch tritt in Kraft. Von Anfang an wurde das Ziel verfehlt, eine
einheitliche Praxis des Schwangerschaftsabbruchs in der Schweiz zu erreichen. Trotz Verbot
gab es bis in die 70er Jahre hinein zahlreiche illegale Abtreibungen.
1970 Ein Abtreibungsskandal im Kanton Neuenburg erregt die
Öffentlichkeit: Zwei bekannte und beliebte Ärzte werden wegen illegaler Abtreibung
angeklagt.
1971 Im März beschliesst der Bundesrat, das StGB einer
umfassenden Revision zu unterziehen.
April/Mai: In Frankreich und in der Bundesrepublik tritt die
Frauenbewegung mit Selbstbezichtigungskampagnen an die Öffentlichkeit.
Im Mai wird im Neuenburger Kantonsrat ein Antrag eingereicht, der eine
Standesinitiative für die Streichung der Art. 118 – 121 StGB vorschlägt.
Am 19. Juni wird die Volksinitiative für die Straflosigkeit des
Schwangerschaftsabbruchs lanciert und am 1. Dezember eingereicht.
Im September beauftragt der Bundesrat die Expertenkommission für die
Revision des StGB, zuerst die Art. 118 – 121 zu bearbeiten.
Am 14. Dezember beschliesst der Neuenburger Kantonsrat, die
Standesinitiative einzureichen.
1973 Die Expertenkommission unterbreitet dem Bundesrat drei
Lösungsvarianten für die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Bundesrat Furgler,
Chef des EJPD, nimmt für die engste Variante Stellung. Gründung der Schweiz. Vereinigung
für Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (SVSS).
1974 Der Bundesrat lehnt die Volksinitiative für straflosen
Schwangerschaftsabbruch ab und schlägt eine Regelung mit sozialer Indikation vor.
1975 Der Nationalrat verwirft die Volksinitiative mit 141
gegen 2 Stimmen. Ein Antrag für ein Fristenlösungs-Gesetz wird hingegen nur sehr knapp
verworfen: mit 90 gegen 82 Stimmen bei 12 Enthaltungen. Die SVSS beschliesst die
Lancierung einer Fristenlösungs-Initiative (straffreier Abbruch in den ersten 12 Wochen
der Schwangerschaft).
1976 Die Fristenlösungs-Initiative wird eingereicht und die
erste Initiative zurückgezogen.
National- und Ständerat schwenken auf den Vorschlag des Bundesrates ein.
Sie verabschieden das Bundesgesetz "über den Schutz der Schwangerschaft und die
Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs" (soziale Indikation), als indirekten
Gegenvorschlag zur Fristenlösungsinitiative.
1977 Die Fristenlösungs-Initiative wird in der
Volksabstimmung knapp verworfen, d.h. mit 51,7% zu 48,3%. Hingegen lehnen 17 Kantone und
Halbkantone ab und nur 8 stimmen zu (BE, BL, BS, GE NE, SH, VD, ZH). Es gibt riesige
Unterschiede im Stimmverhalten (GE: 78,7% Ja; AI: 7,4% Ja).
Gegen das Bundesgesetz wird sowohl von progressiver wie von konservativer
Seite das Referendum ergriffen. Das Gesetz bedeutet einen Rückschritt gegenüber der
liberalen Praxis mehrerer Kantone.
1978 Mit 69% Nein-Stimmen lehnt das Volk das Bundesgesetz
deutlich ab.
1978 – 79 Vier parlamentarische und vier Standesinitiativen
(GE, NE, BS, VD) fordern eine föderalistische Lösung (Möglichkeit für die Kantone,
eine Fristenlösung auf kantonaler Ebene einzuführen).
1980 Die Initiative "Recht auf Leben" wird
eingereicht. Sie verlangt den Schutz des Rechts auf Leben "von der Zeugung bis zum
natürlichen Tod".
1981 Mit 94 zu 75 Stimmen entscheidet sich der Nationalrat
für die föderalistische Lösung. Diese wird hingegen vom Ständerat verworfen.
Das Parlament verabschiedet ein Gesetz, das die Kantone verpflichtet,
Schwangerschaftsberatungsstellen zu errichten, und fügt dem Krankenversicherungsgesetz
einen Artikel bei, wonach die Krankenkassen die Kosten des legalen
Schwangerschaftsabbruchs übernehmen müssen.
1982 Die nationalrätliche Kommission setzt die Beratung der
föderalistischen Lösung bis zur Behandlung der Initiative "Recht auf Leben"
aus.
Im November beschliesst der Bundesrat, die Initiative "Recht auf
Leben" abzulehnen. Er unterbreitet einen Gegenvorschlag, dessen Wortlaut dem Entwurf
für die Totalrevision der Bundesverfassung entnommen ist.
1983 – 84 Stände- und Nationalrat verwerfen sowohl die
Initiative "Recht auf Leben", wie den Gegenvorschlag.
1985 Die Initiative "Recht auf Leben" wird mit 69%
Nein-Stimmen vom Volk verworfen. Nur 7 Kantone und Halbkantone stimmen zu (AI, JU, NW, OW,
SZ, UR, VS). Erneut ist das Abstimmungsverhalten sehr unterschiedlich (NE: 83,7% Nein; VS:
29,9% Nein).
1987 Der Nationalrat lehnt die föderalistische Lösung mit
85 zu 74 Stimmen ab.
1992 Mehrere grosse Frauenorganisationen und Fachverbände
formieren sich in der „Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch".
1993 29. April: SP-Nationalrätin Barbara Haering Binder
verlangt mit einer – von 62 Parlamentsmitgliedern aus 8 Parteien mitunterzeichneten –
Parlamentarischen Initiative die Revision des Strafgesetzes. Sie verlangt Straflosigkeit
des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten Monaten der Schwangerschaft (Fristenlösung).
Nach Ablauf der Frist soll der Abbruch erlaubt sein, wenn das Leben der Schwangeren
gefährdet ist oder wenn die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer
physischen oder psychischen Gesundheit besteht. Der Vorstoss wird durch die
„Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch" unterstützt, welche auch die
ausserparlamentarische Öffentlichkeitsarbeit macht. Die Initiative findet im weiteren
Unterstützung bei 100 Frauenorganisationen, einem Komitee von 650 Ärztinnen und Ärzten
sowie zahlreichen Rechtsprofessor/innen.
1995 3. Februar: Der schweizerische Nationalrat beschliesst
mit 91:85 Stimmen, auf die Initiative Haering Binder einzutreten. Die Kommission für
Rechtsfragen wird mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfes beauftragt.
1996 Im Oktober verabschiedet die Rechtskommission des
Nationalrates mit 15:5 Stimmen einen Entwurf für die Änderung des Strafgesetzbuches im
Sinne einer Fristenlösung.
1997 Zum Entwurf der Nationalrats-Kommission wird im Frühjahr das
Vernehmlassungsverfahren eröffnet. Es ergibt eine breite Unterstützung für die
Fristenregelung und macht deutlich, dass seit Ende der 70er Jahre ein tiefgreifender
Meinungswandel stattgefunden hat. Die CVP unterstützt die Fristenregelung, fordert aber
eine obligatorische Zweitberatung nach deutschem Muster.
Am 17. November beschliesst die Rechtskommission mit deutlicher Mehrheit,
an ihrem Entwurf festzuhalten.
1998 Im Juni lancieren Abtreibungsgegner die Volksinitiative
"Für Mutter und Kind". Sie verlangt quasi ein Totalverbot des
Schwangerschaftsabbruchs.
Im August nimmt der Bundesrat zum Entwurf der Rechtskommission Stellung.
Er anerkennt die Notwendigkeit einer Neuregelung, bevorzugt jedoch das Modell der CVP oder
eine erweiterte Indikationenlösung.
Am 5. Oktober stimmt der Nationalrat der Fristenregelung mit 98 : 73
Stimmen, bei 9 Enthaltungen zu. Der Antrag der CVP für eine obligatorische Beratung wird
deutlich verworfen.
1999 Im November wird die knapp zustande gekommene Initiative
"Für Mutter und Kind" eingereicht.
2000 Im April beschliesst die Rechtskommission des Ständerates,
dem Plenum eine abgeänderte Variante der Fristenregelung zu beantragen.
In der Junisession weist der Ständerat diesen Vorschlag an die Kommission
zurück.
Am 21. September stimmt der Ständerat mit 21 : 18 Stimmen dem leicht
überarbeiteten Entwurf der Kommission zu. Es bestehen mehrere Differenzen zum Antrag des
Nationalrates: Die Frist wird auf 12 Wochen verkürzt. Die Frau muss sich auf eine Notlage
berufen. Der Arzt wird verpflichtet, die Frau eingehend zu beraten und sie auf die
bestehenden Beratungsstellen aufmerksam zu machen. Die Kantone sollen Kliniken bezeichnen,
die zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen berechtigt sind. Das CVP-Modell wird
mit 21 : 19 Stimmen abgelehnt.
16. November: Der Bundesrat sagt nein zur Volksinitiative "Für
Mutter und Kind".
7. Dezember: Der Nationalrat schliesst sich in Sachen Fristenregelung nur
teilweise dem Ständerat an.
2001 Am 6. und 14. März bereinigen die Eidgenössischen
Räte ihre Differenzen. Die Fristenregelung wird am 23. März von der Bundesversammlung
definitiv gutgeheissen, im Nationalrat mit 107 : 69, im Ständerat mit 22 : 20 Stimmen.
12. Juni: der Ständerat lehnt die fundamentalistische Initiative
"Für Mutter und Kind" mit 35 : 0 Stimmen ab.
11. Juli: Gegen die Fristenregelung ist von fundamentalistischen Kreisen
und von der CVP das Referendum eingereicht worden.
29. August: Der Bundesrat stellt sich hinter die vom Parlament
verabschiedete Fristenregelung.
13. Dezember: Der
Nationalrat schmettert die Volksinitiative "Für Mutter und Kind" mit 156 : 8
Stimmen ab, der Ständerat mit 39 : 0.
2002
Am 2. Juni wird die Fristenregelung in der Volksabstimmung mit 72,2% Ja
angenommen. Die Verbots-Initiative "Für Mutter und Kind" wird mit 81,7% Nein
abgelehnt.
Am 1. Oktober tritt die
Fristenregelung in Kraft.
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