Marlen Ich bin Mitte 20 und hatte gestern meinen
medikamentösen Abbruch. Für mich stand diese Entscheidung zwar von
Anfang an fest, jedoch war es nichts desto trotz keine leichte
Entscheidung. Da ich diese Sache gerne für mich verarbeiten möchte und
hoffe, dass ich anderen Frauen in einer ähnlichen Lage weiterhelfen
kann, will ich meine Geschichte und Erfahrung gerne teilen. Vorweg möchte ich erwähnen, dass ich ein
Familienmensch bin. Ich wuchs in einer sehr behüteten Familie auf und
habe mir auch immer eine große Familie gewünscht. Früher dachte ich mir
häufig “Liebes, falls du ungeplant schwanger werden solltest, volljährig
und berufstätig bist, bekomm es einfach” – das ist jedoch sehr viel
leichter gesagt als getan. Vor knapp 3 Jahren hat sich auf meinem rechten
Eierstock eine Zyste gebildet. Mein Frauenarzt und ich haben diese lange
Zeit beobachtet, leider hat sich diese sehr schmerzhaft bemerkbar
gemacht und wurde trotz hormoneller Behandlung nicht kleiner sondern nur
noch größer. Nachdem sie einen stolzen Durchmesser von 6 cm erreicht
hatte fiel die Entscheidung, dass die Zyste operativ entfernt werden
sollte. Zum Zeitpunkt meiner OP war unklar, ob es möglich ist, nur die
Zyste zu entfernen oder ob auch mein rechter Eierstock fürs Vaterland
fallen sollte. Allein dieser Gedanke hat in mir Panik ausgelöst, da es
auch meine Fruchtbarkeit bis zu einem gewissen Grad eingeschränkt hätte
und ich wollte immer eine Familie haben. Ich habe zu dieser Zeit viel
geweint. Mein rechter Eierstock konnte größtenteils erhalten werden und
bei anschließenden Untersuchungen bei meinem Frauenarzt meinte dieser
immer zwinkernd “Sie können noch so viele Kinder haben wie Sie möchten –
und auf die Optik des Eierstocks kommt es ja nicht an”. Da ich mich zu dieser Zeit sehr in meine Arbeit
vertieft habe, wurde mein Kinderwunsch sehr weit nach hinten geschoben,
schließlich wollte ich mich beruflich weiterentwickeln, um einer
möglichen Zukunftsfamilie auch etwas bieten zu können. Da eines das
andere ergibt, hat sich auch lange Zeit keine Beziehung bei mir
eingespielt und nach meiner letzten, langjährigen Beziehung habe ich
auch die Pille abgesetzt. Vor etwa 3 Monaten habe ich einen Mann
kennengelernt mit dem ich mich gut verstand, wir hatten in etwa
denselben Humor, jedoch sonst wenige Gemeinsamkeiten. Er ist ein sehr
impulsiver Mensch und liebt mit ganzem Herzen, ich persönlich habe
allerdings schon viele Enttäuschungen erfahren müssen und wollte, was
die Gefühle betrifft, einen Gang zurückschalten, damit sich alles erst
entwickeln konnte – diese Worte waren ihm meist jedoch fremd. Außer dem
Humor hatten wir jedoch noch eine andere Gemeinsamkeit und unsere
Beziehung entwickelte sich sehr rasch sexuell weiter. Da ich nicht ohne
weiteres auf Verdacht wieder mit der Pille beginnen wollte, haben wir
vorerst mit Kondomen verhütet. Der Nachteil bei diesen ist jedoch, dass
Sie auch reißen können und genau das ist uns passiert. Bereits am
nächsten Tag beschlich mich ein unangenehmes Gefühl und als ich morgens
unter der Dusche stand, begann ich mit meinem Unterbauch zu sprechen.
“Falls sich hier gerade etwas einnisten möchte, das wird nichts mit uns
2 Schätzchen”. Das klingt wirklich sehr grausam, ich möchte jedoch
betonen, dass mir schwarzer Humor schon immer geholfen hat, manches zu
verarbeiten.
2 Wochen später erwartete ich meine Periode, jedoch blieb diese
hartnäckig aus.Da ich allerdings hoffnungsverheißende Unterbauchschmerzen gelegentlich
hatte, hoffte ich, dass meine Periode sich einfach nur verspäten würde.
Die Brustspannungen waren ein Indiz dagegen. Als ich schließlich 4 Tage
überfällig war, beschloss ich einen Test zu machen. Ich machte diesen
nachmittags und es bildete sich nur eine Linie, nach genauerem Hinsehen
konnte ich jedoch eine zweite, sehr schwache bemerken. Da mich dieses
Ergebnis stutzig machte, beschloss ich den Test am nächsten Tag gleich
morgens zu wiederholen. Gesagt getan, wir hatten 2 Linien, jedoch war
wieder eine dezenter als die andere. Da ich das Ergebnis
“scheinschwanger” nicht durchgehen lassen wollte, machte ich tags darauf
sofort einen Termin bei meinem Frauenarzt aus.
Da der Ultraschall in dieser Praxis leider kostenpflichtig ist,
blätterte ich meine letzten 45 € dafür hin und hoffte, Klarheit zu
erlangen. Ich hatte vor dem Ultraschall ein langes Gespräch mit meinem
Arzt und es stand für mich fest, dass ich es nicht bekommen wollte bzw
konnte. Er war sehr verständnisvoll und hat mit mir alle Möglichkeiten
besprochen. Beim Ultraschall selbst konnte man jedoch leider nichts
erkennen, da es noch zu früh war, wir hatten also eine 50:50 Chance.
Mein Gefühl sagte mir jedoch, dass ich schwanger bin – ich hatte
schließlich mein letztes Geld hierfür hingelegt und man konnte nichts
sehen – “das Ding ist gemein, ganz die Mama”. Daher bekam ich eine
Laborüberweisung für einen Bluttest. 36 Stunden später hielt ich das
Ergebnis in der Hand – 3.-4. Woche. Mir schossen viele Gedanken durch
den Kopf. Bekommen, abtreiben oder Adoption. Letztere wäre die schönste
Lösung gewesen, doch ich hätte es wohl nicht übers Herz gebracht, sehr
egoistisch von mir, dessen bin ich mir im Klaren. Abends hatte ich ein
langes Gespräch mit dem Kindsvater. Es war unsere gemeinsame
Entscheidung, es nicht zu bekommen und wir beschlossen, weitere Schritte
in die Wege zu leiten und die Kosten fair aufzuteilen. Da ich den ersten
Termin für die medikamentöse Abtreibung allerdings erst eine Woche
später hatte, beschlossen wir auch, dass wir in dieser einen Woche die
Schwangerschaft genießen wollten und nannten das kleine Ding liebevoll
“Krümel”. Allerdings war Krümel wohl der Meinung, dass dies nicht gut
für uns wäre und es setzten nachts sehr starke Unterleibsschmerzen bei
mir ein. Ich bin, was Schmerzen betrifft, definitiv nicht zimperlich,
diese waren jedoch so heftig, dass mir schwarz vor Augen wurde und ich
bewusstlos wurde. 2 Tage später hörten diese Schmerzen auf und es war
nur noch ein normales Ziepen. Zum Termin selbst habe ich meine Mutter
mitgenommen. Es wussten nur meine beste Freundin (die tragischerweise
erst 4 Wochen zuvor ihr Kind verloren hatte), meine große Schwester und
meine Mutter davon Bescheid. Meine Mutter konnte mit der Lage am Besten
umgehen. In der Praxis herrschte eine beruhigende Atmosphäre und es
waren alle wirklich ausgesprochen freundlich zu mir. Beim
Kontrollultraschall konnte man etwas sehen, die Ärztin fragte mich
behutsam ob sie mir erklären solle, was zu sehen sei. Ich wollte es und
da war es. Ich konnte auch den Herzschlag sehen und war
erstaunlicherweise sehr erleichtert, dass es meinem Krümel gut ging und
er dort war, wo er sein sollte. Den Kindsvater hatte ich absichtlich
nicht zu diesem Termin mitgenommen, da er beim Ultraschall wohl seine
Meinung geändert hätte und es nicht verkraftet hätte. Im Anschluss hatte
ich noch ein weiteres Gespräch, stellte all meine Fragen und nahm die
ersten 3 Tabletten ein. Stunden vor dem Termin hatte ich mich bereits
von Krümel verabschiedet und ihm einen Brief geschrieben.
Von den Tabletten wurde ich leicht dösig und habe mich auf meiner Couch
zusammengerollt. Am Abend setzten Unterleibsschmerzen ein, diese waren
mittelstark (stärker als bei meiner Periode) und kamen und gingen in
Wellen. Zusätzlich bemerkte ich eine leichte Schmierblutung. Ich fühlte
mich maximal etwas melancholisch, aber sonst ging es mir gut. Am
nächsten Tag sollte ich morgens 2 weitere Tabletten einnehmen, damit
mein Uterus sich verkrampft und den Fötus ausstößt. Da man mich auf
starke Schmerzen vorbereitet hatte, war ich auf das Schlimmste gefasst.
Also nahm ich eine Schmerztablette, die ich noch zuhause hatte, dann die
ersten 2 Tabletten und wartete, es passierte nichts. Da man mir gesagt
hatte, dass dies bei einer sehr frühen Schwangerschaft schon mal
vorkommen könnte, nahm ich die 2 Reservetabletten, die ich für den Fall
bekommen hatte, 2 Stunden später nach. Es passierte noch immer nichts.
Ich wollte nur, dass es endlich losginge, konnte es aber nicht
erzwingen. Also ging ich eine Runde spazieren um mich abzulenken.
Endlich, nach 4 Stunden setzte die Blutung ein. Schmerzen hatte ich
kaum, meine übliche Periode war jeweils viel schlimmer gewesen. Wie
prophezeit, war es eine sehr starke Blutung, die mit vielen Blutklumpen
einherging, ich untersuchte diese jedoch nicht.
All das war gestern und heute weiß ich, dass mein kleiner Krümel weg
ist. Direkte Euphorie verspüre ich nicht, ich bin auch nicht depressiv
oder ein anderer Mensch. Mein kleines Ding fehlt mir etwas, aber ich
wusste bereits vorher, dass ich so fühlen werde. Ich hatte es sehr lieb
gewonnen und es war ein Teil von mir. Ich habe diese Entscheidung aus Vernunft
getroffen. Ich konnte mir nicht vorstellen, mit diesem Mann (den ich
gerne habe) ein Kind zu bekommen, ich wollte keine Beziehung mit ihm
haben, da ich nicht seine Mutter sein wollte. Mein Konto ist
hoffnungslos überzogen und der Kindsvater hat erst vor 2 Monaten einen
Kredit aufgenommen (andere Gründe). Aufgrund vieler privater
Vorkommnisse (zB tödliche Erkrankung meines Vaters) bin ich emotional
nicht auf der Höhe. Es war eine gemeinsame und durchdachte Entscheidung. Heute ist Allerheiligen. Daher werde ich eine
Kerze für meinen kleinen Krümel anzünden. Den Blutbefund, die
Teststreifen und den Brief werde ich ein einer Box verstauen und sie gut
verwahren.