Statistik der Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz
Kommentar von Anne-Marie Rey
Zum ersten Mal hat das Bundesamt für
Statistik 2004 die Aufgabe übernommen, die kantonalen Zahlen zum
Schwangerschaftsabbruch zu sammeln und zusammenzustellen. In den Jahren
1993-2003 wurde dies durch die Schweizerische Vereinigung für Straflosigkeit
des Schwangerschaftsabbruchs (SVSS) besorgt. Vorher, ab 1966/70, stellte ein
Team von Experten regelmässig die vorhandenen Daten zusammen.
Noch immer sind die kantonalen Statistiken
nicht vollständig vereinheitlicht. Es ist zu hoffen, dass dies in Zukunft
noch verbessert werden kann.
Beim Vergleich der Zahlen 1970-2002 mit denjenigen der folgenden Jahre besteht
die Schwierigkeit darin, dass die Art der Erhebung sich in
einigen Kantonen
seit der Einführung der Fristenregelung (1.10.2002) geändert hat, und vor
allem, dass man für den Kanton Zürich, der die höchsten Zahlen aufweist, bis
2002 auf Schätzungen angewiesen war. Diese Schätzungen basierten seit 1993
auf umfangreichen Erhebungen bei allen Spitälern und allen Gynäkologen sowie
Psychiatern im Kanton (Antwortquote 95%) und können somit als zuverlässig
gelten.
Mit Sicherheit lässt sich daher sagen:
- Die Zahlen ab 2003 haben gegenüber den Jahren vor der
Fristenregelung nicht zugenommen.
- Die Schweiz weist mit 6,4 Abbrüchen auf 1000 Frauen im gebärfähigen
Alter (2009) die niedrigste Abtreibungsrate in Westeuropa auf. Das ist auf die gute
Sexualinformation, den leichten Zugang zu Verhütungsmitteln, die weite
Verbreitung sehr sicherer Methoden (hormonale Kontrazeption, Sterilisation)
sowie den guten Bekanntheitsgrad und die rezeptfreie Verfügbarkeit der „Pille
danach“ (Notfallverhütung, Norlevo) zurückzuführen.
- Etwa 50% der Abbrüche entfallen auf Migrantinnen. Ihre Abortrate ist
markant höher als die der Schweizerinnen, ein Phänomen, das in allen
westeuropäischen Ländern zu beobachten ist. (Frauen aus Afrika,
Lateinamerika, Osteuropa, Asien haben schlechtere Kenntnis über und
schlechteren Zugang zu Verhütung. Sie leben oft in prekären Verhältnissen.)
- Ausserdem gilt es zu berücksichtigen:
- Das Bevölkerungswachstum, vor allem zurückzuführen auf
Einwanderung. Das heisst mehr Migrantinnen mit hoher Abortrate. Die
Abortrate der gesamten weiblichen Bevölkerung ist trotzdem nicht
angestiegen.
- Je niedriger die
Zahlen bereits sind, umso schwieriger wird es, sie mit Prävention noch
weiter zum Sinken zu bringen. Vermehrte Präventionsarbeit kann noch bei den Migrantinnen geleistet werden.
- Teenagerschwangerschaften (Geburten plus Schwangerschaftsabbrüche):
Auch in dieser Beziehung weist die Schweiz die niedrigsten Raten in
Westeuropa auf. Sowohl die Zahl der Geburten Minderjähriger wie jene der Schwangerschaftsabbrüche
ist
in den 70er bzw. 80er Jahren deutlich gesunken. Nach einem Tiefstpunkt zu
Beginn der 90er Jahre hat sie sich auf niedrigem Niveau eingependelt. Es
ist auch in den letzten Jahren kein markanter Anstieg zu verzeichnen.
- Nur ein geringer Teil der Schwangerschaftsabbrüche (5% im Jahr 2009) wird nach
der 12. Woche durchgeführt.
- Die Abbrüche finden immer frühzeitiger statt, unter anderem dank
zunehmender Verbreitung der medikamentösen Methode mit Mifegyne (RU 486),
die 2009 in 60% der Fälle zur Anwendung kam. Aber auch das Wegfallen der
Zweitbegutachtung und der drastische Rückgang des Abtreibungstourismus
haben dazu beigetragen.
Zollikofen, 14.6.2010