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Solange
Ich habe letzten Donnerstag erfahren, dass ich ungewollt schwanger bin. Ich wurde
mit starken Unterleibsschmerzen ins Krankenhaus gebracht. Zuerst bekam ich
die Nachricht von der Schwangerschaft und dann noch, dass eine über 5 cm
große Zyste in meinem Unterleib geplatzt ist. Für mich brach in diesem
Moment eine Welt zusammen.
Ich wurde quasi im Schlaf ungewollt schwanger. Der Mann drang einfach so
in mich ein, obwohl ich schlief. Aber das weiss hier kein Mensch. Im
Krankenhaus habe ich gesagt, dass wir mit Kondom verhütet haben und dass es
wohl irgendwie geplatzt sein muss. Da es ein evangelisches Krankenhaus ist, wurde ich entsprechend bearbeitet, ich soll doch das
Kind behalten
und die Muttergefühle würden immer von alleine kommen. Prinzipiell waren
sie alle nett, aber sie gaben mir schon das Gefühl, dass es ein großer
Fehler wäre abzutreiben. Ich habe viel darüber nachgedacht
und hier die ganzen Berichte durchgelesen. – Von den Webseiten der Abtreibungsgegner
möchte ich gar nicht reden, in denen man als Mörderin hingestellt wird. Ich finde es höchst anmaßend, solche Dinge zu veröffentlichen, wenn man
selbst nie in so einer Situation war!
Ich habe mich nun endgültig dazu entschieden, den Abbruch vorzunehmen. Ich
werde morgen zu meinem Frauenarzt gehen und nachher einen
Termin bei Pro
Familia vereinbaren. Ich bin zwar schon 29, bin dem ganzen aber einfach nicht gewachsen.
Ich möchte vielleicht schon einmal Kinder, aber dann
unter anderen Umständen. Ich möchte finanziell abgesichert sein, ich
möchte einen Partner haben, der mich unterstützt und ich möchte selbst
bestimmen, von wem ich ein Kind bekomme. Ich möchte nicht mein Leben lang
mit diesem Mann konfrontiert werden. Dass er sich dafür entschuldigte, hilft mir auch nicht weiter.
Ich weiss, dass das Kind nichts für
diese Umstände kann, aber ich muss auch damit leben können, ich müsste es
groß ziehen, ich muss einfach Verantwortung dafür übernehmen können.
Ich
habe unglaubliche Angst davor, das Kind für meine Situation einmal
unbewusst zu bestrafen. Mein Leben ist im Moment kompliziert genug. Vor
einigen Monaten ist erst meine Oma und vier Tage später mein Vater gestorben.
Mal ganz abgesehen davon, dass ich das noch immer nicht wirklich
verkraftet habe, hat uns das finanziell auch sehr getroffen. Und da ich
allein nicht in der Lage bin, mein Leben mit einem Kind zu finanzieren,
würde ich meiner Familie noch auf der Tasche liegen, die ja aber auch
nicht weiss, wo sie es hernehmen soll.
Ab und zu frage ich mich, ob ich irgendwelche Ausreden suche, damit ich
kein schlechtes Gewissen habe. Ob solche Argumente überhaupt ausreichend
sind, um einen Abbruch zu begründen. Oder ob ich einfach nur zu egoistisch
bin.
Ich versuche einfach, auf meine innere Stimme zu hören und die sagt mir,
jetzt nicht. Und ich denke, dass das Begründung genug ist. Es ist für
meinen Körper eine Qual, die ganzen Schwangerschaftsanzeichen
durchzumachen. Mir ist schlecht, meine Brüste sind angeschwollen und
schmerzen und ich möchte das alles nur noch weg haben.
Es tat
gut, das nieder zu schreiben. Denn ich kann über das Thema mit niemandem
reden. Schwangerschaftsabbruch ist leider immer noch ein Tabuthema und ich
will es vermeiden, dass ich von allen schief angesehen werde. Ich habe
so schon genug damit zu kämpfen…
3 Wochen später …
Vor vier Tagen
war nun mein Abbruch und ich kann nur sagen, ich fühle mich das erste mal
wieder gut, richtig befreit.
Ich hatte in dieser Zeit Angst vor allem… vor dem ersten Termin bei meinem
Frauenarzt, dem Termin bei Pro Familia und natürlich vor dem
Abbruchtermin. Aber ich muss sagen, ich wurde von allen Menschen positiv
überrascht. Alle waren sehr nett zu mir, keine Vorwürfe, keine Fragen –
nur Unterstützung. Das hat mir alles unheimlich gut getan.
Den Abbruch selbst habe ich unter örtlicher Betäubung durchführen lassen.
Er war klar nicht sehr angenehm, aber der Arzt war unheimlich
nett. Er erzählte mir Geschichten und wollte immer, dass ich
mitrede, weil es ihm wichtig war, dass er mich reden hörte. Er hat sich
wirklich bemüht, mich abzulenken, worüber ich sehr froh
war. Als ich dann später ging, half er mir in die Jacke und sagte: "So und
jetzt gehen Sie und vergessen uns".
Die ersten zwei Tage nach dem Eingriff waren etwas mühsam, ich konnte nicht
lange laufen und merkte es manchmal schon ganz schön, wenn sich die
Gebärmutter wieder zusammenzuziehen versuchte. Heute, am 4. Tag, bin ich so gut wie schmerzfrei und je weniger
Schmerzen ich habe, um so mehr
vergesse ich, was geschehen ist. Es ist irgendwie komisch, ich komme mir
nicht so vor, als hätte ich "ein Kind abgetrieben". Eher so, dass ich eben
einen Eingriff gehabt habe, bei dem etwas weggemacht worden ist, was da
nicht hin gehörte. Ich fühle mich für das, was ich gemacht
habe, nicht schlecht. Ich bin einfach nur froh, dass ichs hinter mir habe.
Und ich merke,
dass mein Leben in ganz neue Bahnen läuft. Es kommt mir so vor, als ob ich
jetzt endlich erwachsen geworden wäre, ich denke, ich werde zukünftig
einfach bedachter an Dinge herangehen. Ich kann mich auch mit wirklich
banalen Dingen befassen und habe richtig Spass daran. Das erste Mal seit
Wochen hab ich wieder gute Laune und kann wieder richtig von Herzen lachen.
Ich habe neue Energie, einfach nur Lebensfreude und
bin voller Pläne.
Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass ich nach dem
Eingriff in ein tiefes Loch fallen würde. Das war aber nicht so und
anfangs dachte ich, wie skrupellos ich eigentlich bin. Ich bin mir
sicherlich bewusst, was ich da gemacht habe, aber die Erleichterung
überwiegt die Trauer. Und ich habe da auch so meine Probleme mit der
Trauer, weil ich nicht wirklich weiß, wegen wem ich trauere. Ich weiß
nicht, was ich verloren habe. – Als mein Vater und meine Oma vor 10
Monaten
starben, da wusste ich, um wen ich trauere.
Schlecht fühle ich mich noch, weil ich viele meiner Freunde anlügen
musste. Natürlich haben manche gemerkt, dass was nicht mit mir stimmt und
die haben sich dann Sorgen gemacht und ich konnte ihnen nichts sagen. Meiner besten
Freundin habe ich es auch erst vor einer Woche gebeichtet.
Und war erleichtert, wie sie reagiert hat und 100 % hinter mir
stand. Ich denke, ich werde in absehbarer Zeit auch noch einige meiner anderen
Freunde aufklären, langsam fühle ich mich dazu in der Lage.
Alles in allem hatte ich wohl viel Glück im Unglück. Alle haben mich
unterstützt und haben sich wirklich rührend um mich gekümmert. Was sehr an
mir haften blieb, war der Satz des Beraters bei Pro Familia, als ich ihm
sagte, dass es in meinen Augen sehr egoistisch ist, einen Abbruch
vorzunehmen und ob ich überhaupt das Recht dazu habe. Er sagte dann, dass
Frauen im allgemeinen ein grosses Problem haben, Rechte für sich
einzufordern. Männer würden sich immer das nehmen, was sie wollen. Und
damit hatte er wohl auch Recht. Frauen haben bis heute in unserer
Gesellschaft einfach eine Geber-Rolle und haben Probleme damit, sich auch
mal etwas zu nehmen.
Im Nachhinein bin ich mir ganz sicher, dass diese Entscheidung absolut
richtig war. Klar wird mich dieser Abbruch mein Leben lang begleiten, aber
ich kann damit leben, ich weiß, dass ich es nicht bereuen werde.