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Barbara: traurig, aber ich stehe zu meinem Entscheid
Vorab möchte ich betonen, dass ich
mein Leben lang strikt nach meinen Prinzipien gelebt habe. Dazu gehörte
auch meine persönliche Einstellung, dass eine Abtreibung für mich nur
nachvollziehbar und akzeptabel ist, wenn die betroffene Frau tatsächlich
mittellos oder alleine oder vergewaltigt worden wäre…. Ich war immer
der Meinung, "das Kind kann nichts dafür", "wer Mist baut, muss auch die
Folgen tragen". Alles wirklich tolle und von mir ernst gemeinte
Prinzipien, doch leider hat mich das Leben wieder mal gelehrt: wenn man
selbst nicht betroffen ist, weiß man einfach nicht, wie das ist!
Ich (34) bin seit 4 Jahren in einer harmonischen, liebevollen Beziehung
und wir sind seit 2 Jahren glücklich verheiratet. Im Ernst: wir lieben
uns über alles und wir haben in der kurzen Zeit schon viel erlebt und
haben auch über das Thema Kinder gesprochen. Wir kamen immer zum Schluß:
Kinder sind nichts für uns, Kinder sind toll – als Onkel und Tante, wir
wollen in unserem Leben und Beruf Fuß fassen, später reisen, unsere
Finanzen in Ordnung bringen und aufbessern, einfach das Leben zu zweit
genießen. Doch Kinder hätten bei uns keinen Platz, da wir die
Verantwortung nicht wollen, da wir nicht/nie bereit sind, da wir unsere
Freiheit als Paar zu sehr genießen…. Doch wir sagten salopp: wenns
wirklich mal passiert, passierts – dann müssen wir das Kind eben groß
ziehen – unsere eigene Schuld…
Ich leide seit meiner Teenagerzeit an einer Hormonstörung (bekam keine
Regelblutung), nahm seit ich 17 bin die Pille. Vor 3 Jahren wurde mir
ein Eierstock entfernt. Ich bekam von 2 Frauenärzten zu hören, dass ohne
Hormonbehandlung die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden wohl sehr
gering sei, wenn ich jedoch keinen Kinderwunsch habe, müsse man das auch
nicht weiter untersuchen. Meine jetzige Gynäkologin meinte bei meinem
letzten Besuch auf die Frage, ob ich denn fruchtbar wäre: "ich finde
toll, dass sie die Einstellung haben, wahrscheinlich keine Kinder haben
zu können und zu wollen, denn die Chance auf eine Schwangerschaft ohne
Hormonbehandlung und dergleichen ist sehr gering." Diese Worte hallten
die letzten Wochen ständig in meinem Kopf…
Mein Mann (34) wollte schon seit Jahren eine Vasektomie machen lassen,
uns fehlte nur immer das Geld dazu. Meine Mutter starb sehr früh an
einem Hirnschlag. Das, weil ich leider rauche, die Pille schon bald 20
Jahre nehme und eh nicht schwanger werden kann, war der Grund, dass ich
die Pille absetzte, bis mein Mann die Vasektomie machen könnte.
Dann geschah es vor 3 Wochen: meine Regelblutung kam nicht und wir
dachten zuerst, es hätte mit meiner Hormonstörung zu tun (denn durch die
hatte ich früher keine Regel) – doch meine Brüste spannten komisch und
ich machte einen Schwangerschaftstest – positiv! Es war ein Schock, ich
war am Boden zerstört, verwirrt, brach weinend zusammen. Alles nur das
nicht! Ich machte einen 2. Schwangerschaftstest: positiv! Wir fuhren
sofort zur Gynäkologin, bekamen aber keinen Termin. Die netten
Ordinationsgehilfinnen meinten nur (in normaler Lautstärke, hinter uns
das offene Wartezimmer), dass die Schwangerschaftshormone wohl nie lügen
u. ich könne sicher sein, schwanger zu sein. Ich dachte nur: was
jetzt?!!! Was mache ich denn bloß?! Ich war verzweifelt, weinte zu
Hause, war verwirrt. Mein Mann sagte, egal was ich machen würde, er
stehe zu meiner Entscheidung. Fragte, zu was ich denn tendiere: keine
Ahnung. Meine Meinung schwankte fast stündlich zwischen behalten und
abtreiben. Er fragte mich, ob ich mich ein bißchen freue? Nein, das tat
ich in keinem Moment. Ob ich mich als Mutter sehen könne? Nein, nur als
maßlos überforderte und unglückliche Frau. Ich dachte, mein Leben und
all meine und unsere Träume seien nun zerstört. Die Argumente, das Kind
zu behalten waren: Pflichtbewusstsein, ich stehe eine Abtreibung nicht
durch, wir sagten, wenns passiert passierts, das Kind kann nichts dafür.
Doch die Argumente dagegen überwogen von Anfang an.
2 lange Tage später hatten wir einen Termin bei meiner Frauenärztin. Ich
fühlte mich unwohl, unwirklich, hilflos zwischen den Schwangeren und den
ganzen Eltern-Kind-Broschüren. Ich dachte die ganze Zeit über immer
wieder: du bist ein kalter, schlechter, egoistischer Mensch. Dann kam
die Ultraschall-Untersuchung, die Ärztin meinte, ich wäre ca. in der 6.
Woche – der nächste große Schock: also bin ich wirklich schwanger!!! Ich
fragte, wo ich einen Schwangerschaftsabbruch durchführen könne. Sie gab
mir die Adresse vom Krankenhaus, die Kosten (598 Euro) und dann fragte
sie, warum wir das Kind nicht wollen, wir sollten eine Plus-Minusliste
machen, es gäbe genug Hilfe von außen und das Schlimmste war: "Bitte,
bitte überlegen sie es sich." Ultraschallbilder in die Hand. Mein
schlechtes Gewissen wurde dadurch nicht geschmälert!
Am nächsten Tag rief ich im Krankenhaus an, konnte eine Stunde später
zum Erstgespräch und Anamnese vorbeikommen. Ich war fertig, doch ich
legte meine Argumente ganz klar dar. Ich mußte zur Psychologin (14 Tage
später) und einen Tag darauf hatte ich eine gynäk. Untersuchung im
Krankenhaus. Während des Ultraschalls hörte ich den Herzschlag laut und
deutlich und ich war entsetzt. Bis heute weiß ich nicht, ob es vom Arzt
Absicht war oder nicht. Doch dieses Erlebnis war der blanke Horror.
Einmal in den langen Tagen des Wartens hatte ich einen großen Tropfen
Blut verloren und ich hoffte, ich hätte das Kind verloren. Das klingt
krank und fies, doch ich dachte, wenn es "natürlich abgehen" würde, wäre
alles leichter zu akzeptieren… Tags darauf hatte ich die Abtreibung
im Krankenhaus. Am Abend davor war ich von Schuldgefühlen zerfressen und
in Tränen aufgelöst, schlief schlecht, doch ich wusste, ich wollte kein
Kind.
Im Krankenhaus auf dem Weg zum OP-Saal (bei mir wurde eine Curettage
durchgeführt) weinte ich, konnte mich nicht beruhigen. Es war mir
unangenehm, da ich noch im OP-Saal weinte und ich dachte mir, dass die
Ärzte wohl denken: "dann soll die Kuh nicht abtreiben…" Ich
verabschiedete mich in Gedanken vom Ungeborenen, bat es um Verzeihung
und war froh, bald alles hinter mir zu haben. Als ich von der Narkose
aufwachte, ging es mir richtig gut, ich fühlte mich befreit, dachte,
jetzt fängt ein neues altes Leben an und wollte so schnell wie möglich
nach Hause. Mein Mann war die ganze Zeit bei mir und war überrascht und
erleichtert, dass es mir so gut ging.
Diese Zeit war die Schlimmste im Leben meines Mannes und mir. Ich machte
mir meine Entscheidung nicht leicht, informierte mich und haderte mit
mir. Ich war normal, gut gelaunt, von einem Moment auf den anderen
traurig und voller Schuld. Doch mein Mann war Gott sei Dank für mich da
und wir redeten die ganze Zeit über das Thema und ich konnte immer
sagen, was ich denke und wie ich fühle.
Das ist jetzt 5 Tage her. Am nächsten Tag ging ich arbeiten und ich
hatte nie Schmerzen, nur ein unangenehmes Ziehen im Bauch. Die möglichen
Blutungen sind bis jetzt nicht eingetreten, nur etwas Ausfluß. Die
ersten beiden Tage ging es mir gut wie schon ewig nicht mehr und ich
fühlte eine ungeahnte Kraft und war entspannt. Doch dann merkte ich,
dass es doch nicht spurlos an mir vorbeiging und gehen wird. Ich breche
ab und zu in Tränen aus, habe dann auch Schuldgefühle oder denke mir:
"du hast ein Kind abgetrieben". Doch ich versuche, diese Gedanken und
Stimmungen zu akzeptieren und damit zu leben. Denn dies ist eines der
einschneidendsten Erlebnisse in meinem Leben. Es geht mir wirklich gut
doch es wird mich immer wieder "erwischen": beim Frauenarzt, in
Werbungen für Babies, in Gesprächen über Kinder etc. Aber ich lerne
damit umzugehen und ich weiß, dass ich eine sehr gute Tante bin, was mir
reicht. Und ich muss unterscheiden, dass ich traurig sein darf, weil es
normal ist und dass ich trotzdem zu 100% zu meiner Entscheidung stehe!
Ich finde es traurig und schade, dass das Thema Abtreibung noch immer so
tabuisiert ist, vor allem, wenn man sich die Statistiken ansieht. Jede
Frau hat das Recht, selbst zu entscheiden, was sie mit sich, dem
entstehendem Leben und ihrem Leben machen möchte! Und die Betroffenen
brauchen jede Unterstützung, die sie kriegen können. Jedes Thema wird
heutzutage in den Medien breitgetreten, egal wie wichtig oder unwichtig.
Doch das Thema Schwangerschaftsabbruch steht nach wie vor in einem total
negativem Licht, und das finde ich falsch!
Ich wünsche jeder Frau, niemals in diese Situation zu kommen. Und ich
wünsche jeder Frau, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch
entscheidet, viel Kraft und Selbstvertrauen. Der Schmerz wird vergehen,
doch die Erinnerung bleibt und das ist gut so.